Volker Breidecker am 30.12.2015 in der Süddeutschen Zeitung
Ilma Rakusa, die große Europäerin der Literatur, wird 70. Wer auf einer der historischen Achsen zwischen Triest und Sankt Petersburg oder zwischen Lemberg und Odessa unterwegs ist, wird unvermeidlich irgendwo auf Ilma Rakusa treffen.
Mit zahllosen Migranten teilt die Autorin das Gefühl der Fremdheit als Bleibezustand. “Übersetzen” wurde der slawischen und romanischen Philologin, die in Zürich, Paris und im damaligen Leningrad studierte, zur Lebensform.
Als Lyrikerin ... pflegt Rakusa einen schlanken, parataktischen Stil, der zuweilen den Rhythmen des Rap nahekommt. Auch die Prosa der Erzählerin und Essayistin ist von durchwirkter Musikalität. Reinste Wortmusik sind ihre in viele Sprachen übersetzten autobiografischen “Erinnerungspassagen” unter dem Titel “Mehr Meer”, für die sie 2009 den Schweizer Buchpreis erhielt.
Sabine Berking in der FAZ am 02.01.2016
Auf dem Wörtergrat. Magisches Sprachgefühl: Der Autorin und Übersetzerin Ilma Rakusa zum Siebzigsten.
Sie dirigiert ein Kopforchester der Sprache. Ungarisch und Slowenisch wurden ihr in die Wiege gelegt, als Ilma Rakusa einen Tag nach Neujahr 1946 im Osten der Slowakei auf die Welt kam. Damals war halb Europa auf der Flucht, auch ihre Familie nomadisierte über Jahre von Land zu Land. Budapest, Ljubljana, Triest. Erst Anfang der Fünfziger kamen sie zur Ruhe, in Zürich, das schon manchem Mittel- und Osteuropäer Exil geboten hatte. Bevor sie ein eigenes Zimmer bewohnte, war sie in drei Sprachen zuhause.
Die Flucht als Chance. Zungenbabel als Zauberschule, “Migrationsvordergrund” hoch acht. So viele Sprachen beherrscht Ilma Rakusa, das Deutsche wurde ihr zur Heimat, in die sie nicht nur das rollende “R”, sondern eine magische Sprachbeherrschung zum Einzug mitbrachte. Ein Glücksfall nicht nur für die deutschsprachige Literatur.
Die Schriftstellerin Terézia Mora am 31.12.2015 in der NZZ
Das Geschenk. Es war in Nagoya, Zentraljapan, dass ich Ilma Rakusa endgültig ins Herz schloss. Ich hätte fast geschrieben: mich in sie verliebte, aber das geschah erst später, als ich schon eine literarische Figur aus ihr gemacht hatte. Als solche nenne ich sie Ima, was auf Japanisch “das Geschenk” heissen kann, während Ilma im Arabischen wohl “die Weisheit” bedeutet, und auch das würde passen. Aber es ist wohl sinnvoller, davon auszugehen, dass die echte Ilma Rakusa nach einer Figur aus der ungarischen Literatur benannt worden ist: nach der Hofdame einer Fee namens Tünde, die sich in einen indischen Prinzen namens Csongor verliebt. Ilma hat dabei die wichtige Rolle der Vermittlerin zwischen diesen beiden Prinzipien: dem Himmlischen und dem Irdischen, und ist somit der denkbar passendste Name für eine zukünftige Dichterin.