ILMA RAKUSA
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Laudatio auf “Mehr Meer” von Ilma Rakusa

Ilma Rakusa hat als unfreiwillige Nomadin begonnen, und die Erfahrung der “Kofferkindheit”, des Herumzigeunerns, hat das Selbstgefühl geprägt. Auch ihr Lebensbuch, das den Untertitel “Erinnerungspassagen” trägt, ist so nicht starr und statisch gera- ten, sondern quasi nomadisierend: durch Eindrücke und Er-   lebnisse, aber auch durch Formen und Genres. Hier eine Szene, dort ein Résumée, ein Dialog, ein Gedicht, eine Impression. “Wo du es packst, das ist’s interessant”: Das Wort des Goetheschen Thea- terdirektors trifft auch auf Ilma Rakusas volles Menschenleben zu, wenn man es so zu greifen weiss wie sie.

Die Kindheit in drei Sprachen - Slowenisch, Ungarisch, Italienisch -, die Anpassung an ein enges Land und eine vierte Sprache, die ihr dann auch zur literarischen Heimat wird, Studienjahre in Paris und Leningrad, vor allem aber die Welten der grossen Autoren und der grossen Komponisten. Von diesen lernt sie, dass man die Innenwelt ins Unendliche ausdehnen kann, so begrenzt und bedrückend die äussere Existenz auch gelegentlich sein mag. Sie baut sich gerade aus Beschränkungen ein Universum auf, in dem potentiell alles poetisch, alles intensiv, sogar schön ist. Das ist keine Schönfärberei, wohlgemerkt, sondern die Hervorhebung des Schönen, Intensiven, Poetischen eben auch dort, wo man es nicht unbedingt vermutet.

Ilma Rakusa begegnet ihm in der Tristesse osteuropäischer Srädte und vor den weiten Horizont des Meeres, im Gespräch in einer Studentenküche und beim gemeinsamen Musizieren. Diese Schönheitsempfindlichkei, diese Erfüllung der Welt mit Poesie ist die besondere Befähigung dieser Autorin, und eine andere ist es, den Leser damit anzustecken. Das Mittel dazu ist das treffende Wort, das Dichterwort. Geschult im Umgang mit den großen Lyrikern, die sie übersetzt, interpretiert und vermittelt, geschult auch durch die eigene lyrische Arbeit, hat Ilma Rakusa mit ihren Erinnerungspassagen ein episches Werk geschaffen, das lyrische Ansprüche erfüllt.

Martin Ebel  

http://www.novinki.de/html/zurueckgefragt/Interview_Rakusa.html